Alles Wissen HR-Fernsehen 23.05.19
Verfasst: 24.05.2019, 08:48
Hier der Bericht aus dem HR-Fernsehen
Alles Wissen: Antibiotika, gefährlicher als gedacht
HIER KLICKEN
Alles Wissen: Antibiotika, gefährlicher als gedacht
HIER KLICKEN
Eine der häufigsten Nebenwirkungen sind Bindegewebsschäden, die durch den Abbau von Kollagen entstehen. Dadurch entzünden sich Sehnen oder reißen. Vor allem die Achillessehnen sind betroffen. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine solche Schädigung entsteht, liegt bei zwei der Wirkstoffen zwischen 1:104 und 1:227. Das heißt, jeder 104. Patient, bzw. jeder 227. Patient ist von solchen Schädigungen betroffen. Ältere Patienten sind besonders gefährdet.
Es können sich aber auch andere Sehnen, Muskeln und Gelenke entzünden, häufig verbunden mit starken Schmerzen. Lebensgefährlich wird es, wenn auch in Gefäßwänden Kollagen abgebaut wird. Dadurch können Aneurismen entstehen, also Aussackungen der Aorta. Das kann zum Platzen des großen Blutgefäßes führen. Schwere innere Blutungen sind die Folge.
Dr. Stefan Pieper erlebt als die quälenste Nebenwirkung bei seinen Patienten das "Chronic Fatique Syndrome": "Vielleicht sogar als Schlimmstes ist die Erschöpfung zu nennen. Eine Nebenwirkung, die sich auf die Mitochondrien, also auf die Kraftwerke der Zelle auswirkt. Die Energieproduktion in der Zelle ist nicht mehr ausreichend und die Patienten sind teilweise so erschöpft, das sie den größten Teil des Tages im Bett liegen müssen. Darüber hinaus gibt es psychische Nebenwirkungen, da ein System von Neurobotenstoffe gestört wird. Das führt zu Agitiertheit, Nervosität, zu Angst, Panikreaktionen bis hin zu Selbstmorden, die beschrieben sind. Dann ist das Mittel extrem nervenschädigend. Das heißt. da werden kleinere Nervenfasern betroffen, die brennende Schmerzen verursachen."
Pro Jahr mindestens 40 000 Fälle von schweren Nebenwirkungen, bis zu 140 Todesfälle, die Dunkelziffer ist erheblich
Verlässliche Zahlen, wie viele Patienten betroffen sind, gab es bislang nicht. Auf unsere Anfrage hin hat das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) mit Unterstützung von Prof. Dr. Winfried Kern vom Zentrum Infektionsmedizin am Universitätsklinikum Freiburg die Anzahl der Betroffenen für das Jahr 2018 errechnet.
Das Ergebnis ist erschreckend. Und es gibt nicht einmal zu allen Nebenwirkungen Studien, sondern nur zu den häufigsten, wie der stellvertretende Geschäftsführer des WIdO, Helmut Schröder, erläutert: "Wir kommen bei den vier größeren Gruppen von Nebenwirkungen, wie beispielsweise Aneurismen, dass die Hauptschlagader platzt, Sehnenrisse, ZNS Erkrankungen wie Depressionen bis hin zu Selbstmordabsichten zu einer Größenordnung von 40 000 zusätzlichen Patienten im Jahre 2018. Todesfälle sind es ungefähr 140, die nicht passiert wären, wenn entsprechend andere Antibiotika zum Einsatz gekommen wären. Das ist eine konservative Schätzung, die Dunkelziffer wird deutlich darüber liegen."
Diese Dunkelziffer hat Dr. Stefan Pieper abzuschätzen versucht. Grundlage sind US-Amerikanische Zahlen, da die fluorchinolon-bedingten Erkrankungen dort besser untersucht sind. Danach kommt er auf jährlich 380 000 Patienten mit Nebenwirkungen und 5 000 Todesfälle pro Jahr in Deutschland.
Das bedeutet, je nachdem, welche Zahlen man zu Grunde legt, mehrere Hunderttausend bis Millionen Geschädigte innerhalb der letzten 10 Jahre.