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Studie Netzhautablösung durch Fluorchinolone - Arzneimittel im Blick - 2012

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Schorsch
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Studie Netzhautablösung durch Fluorchinolone - Arzneimittel im Blick - 2012

#57

Beitragvon Schorsch » 02.11.2016, 19:29

Quelle: http://www.pei.de/SharedDocs/Downloads/ ... cationFile

Studie Netzhautablösung durch Fluorchinolone - Arzneimittel im Blick (Punkt 13 -19)- 2012


Fluorchinolone und das potenzielle Risiko einer Netzhautablösung

Fluorchinolone werden insbesondere zur systemischen Behandlung verschiedener
schwerwiegender und lebensbedrohlicher Infektionen angewendet. Aufgrund der
für Fluorchinolone bekannten Schädigung von Bindegewebsstrukturen wird postuliert,
dass Fluorchinolone auch entsprechende Strukturen im Auge schädigen
könnten. Eine im April veröffentlichte Fall-Kontroll-Studie fand ein erhöhtes Risiko
für Netzhautablösungen unter Einnahme von Fluorchinolonen. Dieses Signal wurde
unter Federführung des BfArM auf europäischer Ebene durch den Ausschuss
für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz (PRAC) bewertet. Im Folgenden
werden die wichtigsten Punkte dieser Diskussion kurz zusammengefasst.

FLUORCHINOLONE UND NEBENWIRKUNGEN AM AUGE

Fluorchinolone sind hochpotente Antibiotika, die insbesondere zur systemischen Behandlung verschiedener
schwerwiegender und lebensbedrohlicher Infektionen angewendet werden. In Deutschland sind
derzeit folgende Fluorchinolone zur systemischen Anwendung zugelassen: Ciprofloxacin, Enoxacin,
Levofloxacin, Moxifloxacin, Norfloxacin und Ofloxacin. Systemisch applizierte Fluorchinolone können
neben schwerwiegenden neuropsychiatrischen und kardialen Nebenwirkungen auch unerwünschte
Wirkungen auf das Muskel- und Skelettsystem haben. So können Fluorchinolone durch Schädigung von
Tendinozyten sehr selten Sehnenentzündungen und Sehnenrupturen hervorrufen. Aufgrund der besonderen
Empfindlichkeit dieser und anderer Bindegewebsstrukturen (Bänder, Knorpel, Kollagen) gegenüber
Fluorchinolonen wird postuliert, dass sie zusätzlich zu der Schädigung von Hornhautkeratozyten1
und von extraokulären Sehnen auch andere bindegewebsartige Strukturen im Auge schädigen und
dadurch das Risiko für Netzhautablösungen erhöhen könnten. Eine im April veröffentlichte Fall-Kontroll-
Studie aus Kanada untersuchte, ob bei Augenarztpatienten das Risiko für Netzhautablösungen
nach Einnahme von systemischen Fluorchinolonen erhöht ist, und fand ein erhöhtes Risiko unter aktueller
Einnahme von Fluorchinolonen.2
Unter Federführung des BfArM wurde daraufhin dieses Signal auf europäischer Ebene durch den
Ausschuss für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz (Pharmacovigilance Risk Assessment
Committee, PRAC) bewertet. Neben einer kritischen Bewertung der kanadischen Studie wurden dabei
Erkenntnisse aus Tierstudien berücksichtigt sowie alle auf europäischer Ebene verfügbaren Spontanberichte
zu Netzhautablösungen unter Fluorchinolonen beurteilt.

EPIDEMIOLOGISCHE STUDIE ZUM RISIKO EINER NETZHAUTABLÖSUNG BEI
FLUORCHINOLONEN
Studiendesign

Im April 2012 wurde eine epidemiologische Studie veröffentlicht, die das Risiko einer Netzhautablösung
unter Fluorchinolonen untersuchte.2 Die Autoren bildeten dazu über Abrechnungsdaten der allgemeinen
Krankenversicherung in British Columbia eine Kohorte aus Patienten, die in der Zeit von 2000 bis
2007 mindestens einmal einen Augenarzt aufgesucht hatten. Die Patienten wurden am Tag des ersten
Besuches beim Augenarzt in die Kohorte eingeschlossen und bis zu einer Diagnose von Netzhautablösung,
einem Ende des Versicherungsschutzes oder dem Ende der Studienperiode nachverfolgt. Fälle
wurden über Abrechnungsdaten identifiziert, wobei sowohl der ICD-9-Code 361 für Netzhautablösung
als auch spezifische Service-Codes für Prozeduren zur Behandlung einer Netzhautablösung (Skleraplombe,
Vitrektomie, pneumatische Retinopexie) innerhalb von 14 Tagen nach einem ersten ärztlichen
Service-Code für Netzhautablösung (dem Indexdatum) kodiert sein mussten. Patienten mit früherer
Diagnose oder einer früheren kodierten Prozedur für Netzhautablösung nach Eintritt in die Kohorte
wurden ausgeschlossen, ebenso Patienten mit Codes für Endophthalmitis einschließlich intravitrealen
antibiotischen Injektionen oder mit Glaskörperpunktionen. Patienten, denen topische ophthalmische
Fluorchinolone verordnet wurden, wurden ebenfalls ausgeschlossen, da diese im Zusammenhang mit
Entzündungen des Auges gegeben werden können, die wiederum möglicherweise das Risiko für Netzhautablösungen
erhöhen.
Es wurden nur Patienten eingeschlossen, für die Arzneimittelverordnungsdaten für einen Zeitraum
von mindestens einem Jahr vorlagen. Die folgenden Kovariablen wurden zur Adjustierung verwendet:
Geschlecht, Katarakt-OP in der Vorgeschichte, Myopie, Diabetes, Anzahl der Besuche beim Augenarzt im
Jahr vor dem Indexdatum sowie Anzahl der verordneten Medikamente im Jahr vor dem Indexdatum.
Die Exposition gegenüber Fluorchinolonen wurde über Daten zur Abgabe von Fluorchinolonen innerhalb
des Jahres vor dem Ereignis erfasst. Die Exposition musste dabei nach dem Eintritt in die Kohorte
erfolgen. Die Expositionszeit wurde berechnet, indem zum Abgabedatum die Anzahl der Tage addiert
wurde, für die die abgegebene Packung reicht. Das Datum des Expositionsendes wurde dann mit dem
Indexdatum des Ereignisses verglichen. Aktueller Gebrauch wurde als ein Überlappen der Exposition mit
dem Indexdatum definiert. Kürzlich zurückliegender Gebrauch wurde als Exposition ein bis sieben Tage
vor dem Indexdatum und vergangener Gebrauch als Exposition acht bis 365 Tage vor dem Indexdatum
festgelegt. Fälle und Kontrollen wurden im Verhältnis 1 :10 nach Alter und Monat und Jahr des Kohorteneintritts
gematcht. Zur Sensitivitätsanalyse wurden neben Analysen zur Fluorchinolonexposition
auch analoge Analysen zur Exposition gegenüber oralen Beta-Laktam-Antibiotika sowie kurzwirksamen
Beta-Agonisten durchgeführt.

Ergebnisse

Die Autoren schlossen insgesamt 989.591 Patienten in die Kohorte ein. Innerhalb dieser Kohorte wurden
4.384 Fälle von Netzhautablösung identifiziert, denen 43.840 Kontrollen zugeordnet wurden. In
Tabelle 1 sind die Charakteristika von Fällen und Kontrollen dargestellt.
Von den exponierten Fällen erhielt der größte Anteil Ciprofloxacin (n = 368; 82,7 %), gefolgt von Levofloxacin
(n = 32; 7,2 %), Norfloxacin (n = 22; 4,9 %), Moxifloxacin (n = 18; 4,0 %) und Gatifloxacin (n = 5;
1,1%). Dabei erhielt der größte Anteil der Fluorchinolonexponierten eine antibiotische Therapie wegen
respiratorischer Erkrankungen sowie wegen Erkrankungen des Urogenital- und des Gastrointestinaltraktes.
Bei den Analysen zeigte sich, dass der aktuelle Gebrauch von Fluorchinolonen mit einem erhöhten Risiko
für das Auftreten von Netzhautablösungen assoziiert war (3,3 % der Fälle versus 0,6% der Kontrollen).
Der Schätzer für das adjustierte Verhältnis der Ereignisraten (Adjusted Rate Ratio, ARR) lag bei 4,5
(95%-Konfidenzintervall [KI]: 3,56–5,70). Für Patienten mit kürzlich erfolgtem oder vergangenem Gebrauch
ergaben sich keine erhöhten Schätzwerte (kürzlicher Gebrauch: ARR 0,92; 95%-KI: 0,45–1,87;
vergangener Gebrauch: ARR 1,03; 95%-KI: 0,89 – 1,19). In den Sensitivitätsanalysen für Patienten, die
Beta-Laktam-Antibiotika oder kurzwirksame Beta-Agonisten erhielten, konnte kein erhöhtes Risiko für
Netzhautablösungen bei aktuellem, kürzlich zurückliegendem oder vergangenem Gebrauch beobachtet
werden (siehe auch Tabelle 2).

Tabelle 2: Rohe und adjustierte Schätzer für das Verhältnis der Ereignisraten für das Risiko einer Netzhautablösung
bei Einnahme von oralen Fluorchinolonen, Beta-Laktam-Antibiotika oder kurzwirksamen Beta-Agonisten
Tabelle 1 : Charakteristika von Fällen und Kontrollen
Fälle (n=4.384) Kontrollen (n=43.840)
Alter am Indexdatum in Jahren,
Mittelwert (Standardabweichung)
61,6 (16,6) 61,6 (16,6)
Anzahl männlicher Patienten (%) 2.551 (58,2) 1.907 (43,5)
Dauer der Nachverfolgung in Jahren,
Median (Interquartilsabstand, IQR)
1,7 (0,3–3,1) 1,7 (0,3–3,1)
Komorbiditäten, Anzahl (%)
• Katarakt-OP 2.025 (46,2) 14.862 (33,9)
• Myopiea 162 (3,7) 1.359 (3,1)
• Diabetesb 675 (15,4) 5.743 (13,1)
Anzahl Verordnungen im Jahr vor
dem Indexdatum
11,0 (3,4 – 15,2) 10,0 (2,3–13,1)
Anzahl Augenarztbesuche im Jahr
vor dem Indexdatum
3,0 (1,4–4,4) 1,3 (0–11)
Anzahl (%) Rate Ratio (95%-KI)
Fälle (n = 43.840)
Kontrollen
(n = 43.840)
roh adjustierta
kein Fluorchinolongebrauchb
3.939 (89,8) 40.787 (93,0) 1 [Referenzwert] 1 [Referenzwert]
Fluorchinolongebrauch
insgesamt 445 (10,2) 3.053 (7,0) 1,55 (1,39–1,72) 1,39 (1,23–1,57)
aktuell 145 (3,3) 275 (0,6) 5,55 (4,52 – 6,82) 4,50 (3,56–5,70)
kürzlich 12 (0,3) 93 (0,2) 1,35 (0,74–2,47) 0,92 (0,45 – 1,87)
vergangen 288 (6,6) 2.685 (6,1) 1,13 (0,99 – 1,28) 1,03 (0,89 – 1,19)
Beta-Laktam-Gebrauch
insgesamt 65 (1,5) 618 (1,4) 1,11 (0,99–1,24) 1,05 (0,93 – 1,18)
aktuell 9 (0,2) 106 (0,2) 0,85 (0,43 – 1,68) 0,74 (0,35–1,57)
kürzlich 0 16 (<0,1) 0 0
vergangen 56 (1,3) 496 (1,1) 1,13 (0,86 – 1,50) 1,03 (0,75–1,40)
Gebrauch kurzwirksamer Beta-Agonisten
insgesamt 160 (3,6) 1.668 (3,8) 0,96 (0,81 – 1,13) 0,97 (0,81 – 1,16)
aktuell 44 (1,0) 440 (1,0) 1,00 (0,73–1,36) 0,95 (0,68 – 1,33)
kürzlich 7 (0,1) 73 (0,2) 0,96 (0,44 – 2,08) 0,94 (0,41–2,15)
vergangen 109 (2,5) 1.155 (2,6) 0,94 (0,77–1,15) 0,98 (0,79 – 1,21)
a definiert als Arztbesuch wegen Myopie im Jahr vor dem Indexdatum
b definiert als Gebrauch von wenigstens einem Diabetesmedikament im Jahr vor dem Indexdatum
a adjustiert für Alter, Geschlecht, Katarakt, Myopie, Diabetes, Anzahl Arzneimittelverordnungen, Anzahl Augenarztuntersuchungen
b im Jahr vor dem Indexdatum
KI: Konfidenzintervall, Rate Ratio: Verhältnis der Ereignisraten
Ausgabe 4 | Dezember 2012

DISKUSSION DER STUDIENERGEBNISSE

Die Autoren fanden in ihrer Studie eine Assoziation zwischen aktueller Einnahme von Fluorchinolonen
und Netzhautablösungen. Der beobachtete Schätzwert (ARR) von 4,5 (95%-KI: 3,56–5,70) für das
Risiko war relativ hoch und die Autoren errechneten, dass in der Studie eventuell nicht berücksichtigte
Confounder eine sehr starke Assoziation mit der Exposition und dem Ereignis haben müssten, um den
beobachteten Zusammenhang zwischen Fluorchinolonen und Netzhautablösung aufzuheben.
Bei Netzhautablösungen handelt es sich um ein sehr seltenes Ereignis (die Autoren der Studie zitieren
für die USA eine Inzidenz von zwölf Fällen rhegmatogener Netzhautablösung pro 100.000 Personen pro
Jahr3), die grundsätzlich nur sehr schwer zu erfassen sind. Analysen von Krankenkassendaten bieten zwar
die Möglichkeit, auch solche seltenen Ereignisse zu erfassen, jedoch werden die Daten primär nicht für
die Studienzwecke erfasst und daher stehen bei der Auswertung nicht immer präzise Informationen zu
Verfügung.
Einige Risikofaktoren für Netzhautablösungen, zum Beispiel okuläre Traumata, konnten von den Autoren
nicht berücksichtigt werden. Ebenso konnten durch die in British Columbia üblichen Abrechnungsund
Diagnosepraktiken lediglich Analysen auf einer dreistelligen ICD-Ebene durchgeführt werden,
wodurch keine Differenzierung zwischen verschiedenen Arten von Netzhautablösungen möglich war
(z.B. zwischen rhegmatogenen und serösen Netzhautablösungen). Die Autoren haben daher nur solche
Ereignisse betrachtet, die mit einem chirurgischen Eingriff einhergingen. Dadurch wird zwar eine hohe
Spezifität erreicht, jedoch wurden zum Beispiel Netzhautablösungen, die keinen akuten Eingriff erforderlich
machten, ausgeschlossen.
Für viele der nicht erfassten Risikofaktoren ist es unwahrscheinlich, dass diese mit einer Einnahme von
Fluorchinolonen assoziiert sind. Es ist jedoch möglich, dass bei einigen dieser Faktoren Effektmodifikationen
auftreten können und dass das Risiko von Patienten mit und ohne bestimmte Risikofaktoren bei
Fluorchinoloneinnahme unterschiedlich sein kann.
Ein großer Teil der eingeschlossenen Fälle und Kontrollen waren Kataraktpatienten mit zurückliegender
OP. Kataraktoperationen selbst stellen einen Risikofaktor für das Auftreten von Netzhautablösungen dar.
In den Analysen wurden Katarakt-OPs als Variable berücksichtigt, jedoch wurden dabei weder Art der
OP noch zeitliche Abstände zwischen OP und Netzhautablösungen berücksichtigt. Daneben wurden in
der Studie eventuell im Zusammenhang mit einer Katarakt-OP intrakameral applizierte Antibiotika nicht
berücksichtigt.
In der im Anschluss an einige Leserbriefe im JAMA publizierten Korrespondenz geben die Autoren auch
die Effektschätzer für Patienten ohne Katarakt-OP an.4 Demnach war auch bei Patienten ohne zurückliegende
Katarakt-OP ein höheres Risiko für Netzhautablösungen bei aktueller Einnahme von Fluorchinolonen
beobachtbar (RR) 3,34; 95%-KI: 2,06–5,40).
Die Autoren konnten für eine kürzlich zurückliegende Einnahme von Fluorchinolonen keine Assoziation
beobachten (0,92; 95%-KI: 0,45 – 1,87), obwohl der entsprechende Zeitraum mit bis zu sieben Tagen
nach Einnahme recht kurz gewählt war. Allerdings beruhen die Daten nur auf einer im Vergleich zu den
Gruppen mit aktuellem oder vergangenem Gebrauch kleinen Anzahl von Fällen und Kontrollen und
sollten daher auch vorsichtiger interpretiert werden.
In epidemiologischen Untersuchungen zu Achillessehnenrupturen unter Fluorchinoloneinnahme5, 6
fanden sich erhöhte Risiken für Sehnenrupturen bis zu 30 Tage nach Fluorchinoloneinnahme. Außerdem
hatten Patienten mit gleichzeitiger Glukokortikoideinnahme und Patienten, die älter als 60 Jahre alt
waren, ein höheres Risiko für Sehnenrupturen bei Fluorchinoloneinnahme.

Die Autoren der Studie zu Netzhautablösungen haben leider keine Analysen zu gleichzeitiger Glukokortikoideinnahme
durchgeführt. Zu einem möglichen Einfluss des Alters auf das Risiko wurde von den
Autoren keine Angaben gemacht, da ihnen zufolge die entsprechenden Subgruppenanalysen auf einer
zu geringen Anzahl von Patienten beruht hätten, um adäquate Schlussfolgerungen zuzulassen.
Leider führten die Autoren auch keine Analysen zum Einfluss der Dosis oder der kumulativen Einnahmedauer
auf ein mögliches Risiko durch, da die Anzahl der exponierten Fälle nicht ausreichend für die
entsprechenden Analysen war. Da jedoch von den exponierten Fällen besonders viele Fluorchinolone zur
Behandlung von Atemwegsinfektionen erhalten hatten und dabei grundsätzlich höhere Dosierungen
über eine längere Zeit als zum Beispiel bei Behandlung von Infektionen des Urogenitaltraktes gegeben
werden, stellt dies einen sehr wichtigen Aspekt dar, der in eventuellen zukünftigen Studien weiter
berücksichtigt werden müsste. Ebenso lässt sich derzeit keine Aussage zu substanzspezifischen Risiken
treffen. Der Anteil an Fällen unter Ciprofloxacineinnahme spiegelt grundsätzlich den hohen Verordnungsanteil
von Ciprofloxacin an Fluorchinolonverordnungen wieder. Aufgrund der geringen Fallzahlen
bei den übrigen Fluorchinolonen lassen sich jedoch keine substanzspezifischen Risiken vergleichen.
Letztlich bleibt anzumerken, dass die Studie innerhalb einer sehr speziellen Population von Augenarztpatienten
durchgeführt wurde. Die Ergebnisse sind daher nur bedingt auf die Allgemeinbevölkerung
übertragbar und die Auswahl der Kontrollpatienten innerhalb dieser Population von Augenarztpatienten
erschwert zusätzlich eine abschließende Interpretation der Ergebnisse. Die Beobachtungen der Studie
bedürfen deshalb einer Bestätigung in einer weiteren, auf die allgemeine Bevölkerung bezogenen Studie.

SPONTANBERICHTE ZU NETZHAUTABLÖSUNGEN

Die Analyse der in den nationalen europäischen Datenbanken sowie in der gemeinsamen EudraVigilance-
Datenbank7 vorhandenen Spontanberichte einschließlich publizierter Fälle8 – 10 unter Fluorchinolonen
zu Netzhautablösungen sowie damit in engem Zusammenhang stehende Nebenwirkungen (Maculaloch,
Macularuptur, Netzhautablösung, Einriss des retinalen Epithelpigmentes, Netzhauteinriss, anomale
Gesichtsfeldtests, Vitrektomie, anomales vitreomakuläres Interface, Glaskörperadhäsionen, Glaskörperablösung,
Gesichtsfelddefekt) lieferte die folgende Anzahl an Fällen:

Tabelle 3: Anzahl der Fälle zu den abgefragten Nebenwirkungen (MedDRA Preferred Terms) unter
Fluorchinolonen einschließlich Anzahl der Fälle mit zumindest möglicher Kausalität in Klammern
Fluorchinolon
Anzahl der Fälle
(mind. „mögliche” Kausalität gemäß WHO-Kriterien)
PTa Netzhautablösung PT Gesichtsfelddefekt PT Glaskörperablösung
Moxifloxacin 2 (2) 1 (0) 1 (0)
Ciprofloxacin 1 (0) 4 (3) 1 (0)
Levofloxacin 1 (1) 2 (2) –
Ofloxacin 1 (1) 8 (2) 1 (1)
Norfloxacin 2 (0) 1 (1) –
Flumequinb 3 (3) – –
Trovafloxacinc 1 (0) 1 (1) –
Grepafloxacinc – – 1 (0)
11 (7) 17 (9) 4 (1)
a MedDRA Preferred Term
b in Deutschland nicht zugelassen
c wegen schwerwiegender Risiken (Leberversagen bzw. Kardiotoxizität) kurz nach Markteinführung 1999 vom Markt genommen

REFERENZEN
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cytotoxic effects of fluoroquinolones
on human corneal keratocytes and
endothelial cells. Curr Med Res Opin.
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2. Etminan M et al.: Oral fluoroquinolones
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JAMA. 2012;307(13):1414-
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3. Sodhi A et al.: Recent trends in the
management of rhegmatogenous
retinal detachment. Surv Ophthalmol.
2008;53(1):50-67
4. Etminan M et al.: Retinal detachment
and fluoroquinolones. Author
reply. JAMA. 2012;18;308(3):235-236
5. van der Linden PD et al.: Fluoroquinolones
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disorders: case-control study. BMJ.
2002;324(7349):1306-1367
6. van der Linden PD et al.: Increased
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especially in elderly patients taking
oral corticosteroids. Arch Intern Med.
2003;163(15):1801-1807
7. Homepage der EudraVigilance
Datenbank; http://eudravigilance.ema.
europa.eu/lowres.htm
8. Hurault de Ligny B et al.: Ocular
side effects of flumequine. 3 cases
of macular involvement. Therapie.
1984;39(5):595-600
9. Sirbat D et al.: Serous macular
detachment and treatment with
flumequine (Apurone = urinary
antibacterial). Apropos of 2 cases. Bull
Soc Ophtalmol Fr. 1983;83(8-9):1019-
1021
10. Sirbat D et al.: Serous macular
detachment of the neuro-epithelium
and flumequine. J Fr Ophtalmol.
1983;6(10):829-836
11. Gelatt KN et al.: Enrofloxacin-associated
retinal degeneration in cats. Vet
Ophthalmol. 2001;4(2):99-106
12. Wiebe V et al.: Fluoroquinolone-
induced retinal degeneration
in cats. J Am Vet Med Assoc.
2002;221(11):1568-1571
13. Ford MM et al.: Ocular and
systemic manifestations after oral
administration of a high dose of
enrofloxacin in cats. Am J Vet Res.
2007;68(2):190-202

Nach vertiefter Einzelfallprüfung der spontanen Verdachtsmeldungen ist bei sieben Patienten mit einer
Netzhautablösung ein kausaler Zusammenhang mit der Einnahme von Fluorchinolonen als zumindest
möglich anzunehmen. Von diesen sieben Patienten erhielten drei das jeweilige Fluorchinolon zur
Behandlung einer Harnwegsinfektion, drei zur Behandlung einer Bronchitis beziehungsweise Sinusitis
und ein Patient zur Behandlung einer Wundinfektion. Von den verbleibenden vier Fällen ohne möglichen
Kausalzusammenhang erhielten drei Patienten ein Fluorchinolon zur Behandlung einer Harnwegsinfektion
und ein Patient zur Behandlung einer Infektion der oberen Atemwege. In allen elf Fällen wurde das
Fluorchinolon somit für eine nicht schwerwiegende Infektion angewendet.
Eine höhere als für die Indikation empfohlene Dosis beziehungsweise vermutete Überdosierung aufgrund
vorliegender Niereninsuffizienz konnte in vier Fällen (Flumequin und Ciprofloxacin) als möglicher
Risikofaktor identifiziert werden. In sechs Fällen waren keine Angaben zur Dosis enthalten und in einem
Fall (Ofloxacin) entsprach die Dosis der Empfehlung der Fachinformation.
Von den untersuchten Spontanberichten handelt es sich in drei Fällen um in der französischen Literatur
publizierte Berichte zu serösen Netzhautablösungen unter Flumequin, ein Antibiotikum, das in Deutschland
nicht zugelassen ist.8 – 10 In den übrigen Fällen wurde die Art der Netzhautablösung nicht näher
beschrieben.
Weiterhin wurden 17 Fälle von Gesichtsfelddefekt und vier Fälle von Glaskörperablösung, die potenziell auf ein
Risiko für eine Netzhautablösung hinweisen, hinsichtlich möglicher Risikofaktoren und Kausalität analysiert.
Von den Fällen, bei denen die Patienten einen Gesichtsfelddefekt oder eine Glaskörperablösung erlitten,
wurde in neun Fällen beziehungsweise in einem Fall ein zumindest möglicher Kausalzusammenhang
festgestellt. In den meisten Fällen mit bekannter Indikation wurden die Fluorchinolone für nicht schwerwiegende
Infektionen der Harnwege oder Atemwege (z.B. Sinusitis, Pharyngitis, Bronchitis) angewendet.
Die verabreichten Dosen (soweit bekannt) lagen meistens im normalen oder niedrigen Dosisbereich.
Es gab nur in einem Fall einen zusätzlichen Hinweis auf eine Einschränkung der Nierenfunktion
und nur wenige Fälle mit einer Begleitmedikation wie Prednisolon, die als Risikofaktor bekannt ist.
Insgesamt ist die Anzahl der gemeldeten Spontanfälle im Vergleich zu der breiten Anwendung von
Fluorchinolonen in Europa sehr gering. Jedoch kann ein Reporting Bias nicht ausgeschlossen werden,
da bisher im Falle von Netzhautablösungen wahrscheinlich selten ein möglicher Zusammenhang mit der
Gabe von Fluorchinolonen untersucht wurde.

TIEREXPERIMENTELLE BEFUNDE ZUR RETINALEN TOXIZITÄT VON FLUORCHINOLONEN

Verschiedene Tierstudien haben eine durch Fluorchinolone verursachte Retinadegeneration mit Erblindung
gezeigt. Von dieser dosisabhängigen Retinatoxizität sind insbesondere Katzen betroffen.11–13 Eine neuere
Untersuchung deutet auf eine genetische Prädisposition für diese Retinadegeneration bei Katzen aufgrund
eines veränderten ABCG2-Transporters hin, der zur Anreicherung photoreaktiver Fluorchinolone in der Retina
führt.14 Vergleichbare Retinaschäden wurden allerdings auch nach Fluorchinolongabe bei anderen Tierarten
wie dem zur Gattung der Lamas gehörenden Guanako15 und dosisabhängig bei Kaninchen16, 17 festgestellt.
Hunde scheinen weniger empfindlich zu sein. Zumindest fehlen bislang entsprechende Publikationen und die
für Enrofloxacin vorgenommene Dosisreduktion in Verbindung mit Warnhinweisen in der Produktinformation
bezieht sich nur auf Katzen. Die nunmehr empfohlene Dosis für Katzen beträgt ein Viertel der Dosis, die in
Tierstudien eine Retinadegeneration verursachte. Obgleich die Ciprofloxacin-Plasmaspiegel bei Katzen nach
Gabe der empfohlenen Dosis bei 1,5 μg / l liegen und damit ähnlich hoch sind wie die beim Menschen beobachteten
Werte von 1,2 μg / l nach Gabe einer 250-mg-Dosis, bleibt aufgrund der offensichtlich unterschiedlichen
Empfindlichkeit verschiedener Tierspezies die Übertragbarkeit der Befunde auf den Menschen fraglich.
MÖGLICHE MECHANISMEN DER NETZHAUTABLÖSUNG DURCH FLUORCHINOLONE

In Analogie zur bekannten Zytotoxizität auf Tendinozyten könnten Fluorchinolone eine direkte Zytotoxizität
auf Retinazellen ausüben, die zu Rissen in der Retina und damit zu einer rhegmatogenen
Netzhautablösung
führen kann.
Ein weiterer von den kanadischen Studienautoren postulierter Mechanismus könnte in der Schädigung
von Bindegewebsstrukturen und Kollagen durch Fluorchinolone18 begründet sein. Eine Schädigung des
Kollagens im Glaskörper könnte zu einer hinteren Glaskörperablösung und damit zu einem erhöhten
Risiko für eine Netzhautablösung führen.
Eine mögliche Erklärung für ein Risiko von serösen Netzhautablösungen könnte in der nachgewiesenen
starken Bindung von Levofloxacin an das melaninhaltige retinale Pigmentepithel (RPE)19 begründet sein,
sofern hierdurch die Funktionsfähigkeit dieses Epithels und der auswärts gerichtete Flüssigkeitstransport
beeinträchtigt wird. Als Konsequenz würde sich eine seröse Netzhautablösung ausbilden, wie sie für
Flumequin beobachtet wurde, bis die Absorption von Flüssigkeit über das RPE den Einstrom von seröser
Flüssigkeit in den subretinalen Raum ausgleicht. Sofern die RPE-Zellen sich regenerieren, könnte es zu
einer spontanen Resorption der serösen Netzhautablösung kommen.
Die vorhandenen Spontanfälle umfassen drei seröse Netzhautablösungen (Literaturfälle) zu Flumequin8
– 10. In zwei der übrigen Spontanfälle ist ein operativer Eingriff beschrieben; ansonsten aber die Art
der Netzhautablösung nicht oder nicht ausreichend dokumentiert. Hingegen wurden in der kanadischen
epidemiologischen Studie solche Netzhautablösungen erfasst, die chirurgische Eingriffe erforderlich
machten. Daher gehen die Autoren davon aus, dass im Rahmen ihrer Studie rhegmatogene Netzhautablösungen
erfasst wurden. Die bisherige Datenlage lässt keinen Schluss auf einen bestimmten möglichen
Schädigungsmechanismus der Fluorchinolone am Auge zu.

BEWERTUNG DES PRAC

Das Signal zu Netzhautablösungen unter Fluorchinolonen wurde vom PRAC in seiner November-Sitzung
näher bewertet. Dabei wurden sowohl die Daten der epidemiologischen Studie, als auch die Daten aus
Spontanmeldungen und tierexperimentellen Studien kritisch beurteilt. Der PRAC kam zu dem Schluss, dass
die vorhandenen Daten nicht ausreichend sind, um regulatorische Maßnahmen, wie zum Beispiel eine Aktualisierung
der Fachinformationen einzuleiten. Stattdessen soll das Signal von Netzhautablösungen unter
Fluorchinolonen weiter beobachtet werden. Zusätzlich soll die Möglichkeit von weiteren entsprechenden
epidemiologischen Analysen der britischen Verordnungsdatenbank THIN überprüft werden.

14. Ramirez CJ et al.: Molecular genetic
basis for fluoroquinolone-induced
retinal degeneration in cats.
Pharmacogenet Genomics.
2011;21(2):66-75
15. Harrison TM et al.: Enrofloxacin-
induced retinopathy in a guanaco
(Lama guanicoe). J Zoo Wildl Med.
2006;37(4):545-548
16. Kazi AA et al.: Intravitreal toxicity
of levofloxacin and gatifloxacin.
Ophthalmic Surg Lasers Imaging.
2006;37(3):224-229
17. Rampal S et al.: Ofloxacin-associated
retinopathy in rabbits: role of
oxidative stress. Hum Exp Toxicol.
18. Khaliq Y et al.: Fluoroquinolone-
associated tendinopathy: a critical
review of the literature. Clin Infect Dis.
2003;36(11):1404-1410
19. Tanaka M et al.: Comparative
assessment of ocular tissue distribution
of drug-related radioactivity
after chronic oral administration of
14C-levofloxacin and 14C-chloroquine
in pigmented rats. J Pharm Pharmacol.
2004;56(8):977-983


Das BfArM bittet daher darum, bei Patienten mit Netzhautablösung oder Netzhautdegeneration
auf eine mögliche gleichzeitige oder vorherige Einnahme von Fluorchinolonen zu achten und
gegebenenfalls entsprechende Fälle dem BfArM oder der AkdÄ als Spontanberichte zu melden.
Im Einklang mit den bereits für einige Fluorchinolone (z.B. Levofloxacin und Moxifloxacin) bestehenden
Warnhinweisen zu Sehstörungen (z.B. Doppeltsehen und verschwommenes Sehen),
sollten Patienten, die unter der Einnahme von Fluorchinolonen Sehstörungen erleiden, umgehend
einen Augenarzt konsultieren.
Generell sollten Fluorchinolone nur entsprechend der Zulassungen und aktuellen Therapieleitlinien
angewendet werden, d. h. nicht als Mittel der ersten Wahl für unkomplizierte Harnwegsinfektionen
oder Atemwegsinfektionen wie ambulant erworbene Pneumonien.
Levofloxacin zwei Tage je 500 mg Kapsel im Juli 2015

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