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Neuer Artikel von DocCheck : Fluorchinolone: Der ärztliche Leichtsinn

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PeterPan
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Neuer Artikel von DocCheck : Fluorchinolone: Der ärztliche Leichtsinn

#9805

Beitragvon PeterPan » 07.02.2019, 18:40

Fluorchinolone: Der ärztliche Leichtsinn

Vielleicht ein Artikel den wir aufnehmen sollten !!!



http://news.doccheck.com/de/newsletter/ ... 7531a1c11a



Im Februar 2011 ergänzte die FDA die „Boxed Warning“ um einen Hinweis auf die Symptomverschlechterung bei Patienten mit Myasthenia gravis. Seit August 2013 müssen die Hersteller auf das Risiko einer irreversiblen peripheren Neuropathie hinweisen. So heißt es nun: „Die Behandlung mit Ciprofloxacin sollte bei Patienten, die Neuropathiesymptome entwickeln, einschließlich Schmerz, Brennen, Kribbeln, Benommenheit und/oder Schwäche, abgebrochen werden, um der Entwicklung einer irreversiblen Schädigung vorzubeugen.“

Gute Wirkung – viele Nebenwirkungen
Eine Kohortenstudie hat ergeben, dass das Risiko, an einer Achillessehnenentzündung zu erkranken, nach der Einnahme von Fluorchinolonen im Vergleich zu anderen Antibiotika 3,7-fach erhöht ist; Levofloxacin ist dabei wahrscheinlich besonders riskant. Insbesondere ältere Patienten und solche, die zusätzlich Kortikosteroide einnehmen, sind gefährdet.

Ein Rote-Hand-Brief warnt Apotheker und Ärzte vor dem Risiko einer Aortendissektion. Grundlage dafür sind Studien wie die von Pasternak et al. vom Karolinska Institut in Stockholm. Sie fanden in einer Kohortenstudie heraus, dass bei Patienten, die ein Fluorchinolon eingenommen haben, in den folgenden 60 Tagen zu 66 Prozent häufiger ein Aortenaneurysma oder eine Dissektion auftrat. Ciprofloxacin und vermutlich auch andere Fluorchinolone könnten für Patienten, die bereits an einem atherosklerotischen Aorten­aneurysma leiden, zu einem tödlichen Risiko werden.

Auch eine Studie der Abteilung für Notfallmedizin des National Taiwan University Hospital in Taipeh untersuchte den Zusammenhang zwischen der Fluorchinoloneinnahme und gefährlichen Nebenwirkungen. Lee und seine Kollegen überprüften 1.213 Krankenhauspatienten mit Aortenaneurysma bzw. Aortendissektion auf eine vorherige Einnahme von Fluorchinolonen. Patienten haben zwei Monate lang ein um das 2,5-fache erhöhtes Risiko, ein Aortenaneurysma bzw. Aortendissektionen zu erleiden, so das Ergebnis der Studie.

Die Risikosteigerung stand in Korrelation mit der Dauer der Therapie. Nach einer Fluorchinolon-Therapie von 3 bis 14 Tagen war das Risiko für ein Aortenaneurysma bzw. eine Aortendissektion um das 2,4-fache erhöht. Nach mehr als 14 Tagen Anwendungsdauer stieg es auf das 2,8-fache an. Lee und seine Koautoren raten Ärzten, bei Patienten mit bestehenden Kollagen-Erkrankungen oder einem Aortenaneurysma „alternative Antibiotika-Therapien“ in Betracht zu ziehen.

Netzhautablösung gesichert?
Bei Netzhautablösungen ist der Fall nicht eindeutig. Ragideau et al. schlossen aus verschiedenen Datenbanken 27.540 Patienten mit Netzhautablösung in ihre Untersuchung ein. 57 Prozent der Studienteilnehmer waren Männer, das Durchschnittsalter lag bei 61,5 Jahren. Die Wissenschaftler untersuchten als Risikoperiode den Zeitraum von 10 Tagen vor dem Auftreten der Netzhausablösung und als Kontrollperiode den Zeitraum 61-180 Tage vor der Schädigung.

„Die Gabe von Fluorchinolonen war assoziiert mit einem erhöhten Risiko für Netzhautablösungen, einschließlich rhegmatogener und exsudativer Netzhautablösungen“, schreiben die Autoren um Dr. Fanny Raguideau von der französischen Behörde für die Sicherheit von Arzneimitteln und Medizinprodukten in Saint-Denis, Frankreich. „Die Ergebnisse legen eine Assoziation nahe“, doch die Art der Assoziation habe noch nicht geklärt werden können.

Dr. Brian L. VanderBeek, Ophthalmologe an der Perelman School of Medicine der University of Pennsylvania in Philadelphia beäugt die Ergebnisse der Studie mit Skepsis: „Zieht man die Größe der Studie in Betracht, ist es recht wahrscheinlich, ein statistisch signifikantes Ergebnis zu finden. Das ist allerdings nicht dasselbe wie ein klinisch signifikantes Ergebnis“.

Warum richten Fluorchinolone so viele unterschiedliche Schäden an?
Die schädliche Wirkung auf die Achillessehne ist seit einiger Zeit bekannt. Wo ist aber der kleinste gemeinsame Nenner zwischen Sehnen-, Gefäß- und Augenschäden?

Fluorchinolone, früher als Gyrasehemmer bezeichnet, besitzen ein sehr breites Wirkspektrum gegenüber den meisten gramnegativen und grampositiven Bakterien. Daher gelten als medizinische Indikationen fast alle bakteriellen Infektionen. Die Wirkstoffe hemmen das Enzym Gyrase und unterbinden so in Bakterien das Winden der DNA während deren Vermehrungszyklus. Neuere Fluorchinolone stören außerdem das Bakterien-Wachstum, indem sie Topoisomerasen beeinträchtigen. Diese Enzyme sind ebenfalls für die Vervielfältigung der Bakterien-DNA notwendig.

Beim Menschen schädigen die Fluochinolone die Kollagenstrukturen. Die Aortenwand weist eine ähnliche Kollagenstruktur auf wie die Achillessehne. Ursache der Schäden an diesen Strukturen scheint eine vermehrte Bildung von Matrixmetallo-Proteinasen unter dem Einfluss von Fluorchinolonen zu sein. Diese toxischen Wirkungen hängen vermutlich mit den chelatbildenden Eigenschaften der Chinolone zusammen und gehen auf einen temporären Magnesiummangel unter der Chinolontherapie zurück. Der Magnesiummangel führt zu einer Störung von Adhäsionsmolekülen. Ist das Gewebe gut durchblutet, wird ein solcher Mangel rasch wieder ausgeglichen, für nicht vaskularisiertes Gewebe wie Sehnen und Knorpel steigt das Risiko für schwerwiegende Schäden hingegen an.

Wissenschaftler der University of Eastern Finnland vermuten die Mitochondrien als gemeinsames Target. Die Wissenschaftler belegten, dass Ciprofloxacin nicht nur die bakterielle Gyrase, sondern auch die mitochondriale DNA in ihrer Replikation und Transkription beeinflusst. Dies hat Einflüsse auf die Teilung und Differenzierung der Zelle. Dieser oxidative Stress schädigt Bakterien aber auch Gewebe in Sehnen und den Augen und weiteren Organen.

Beschränkungen sollen Sehnen schützen
Der Einsatz der Fluorchinolone in den Vereinigten Staaten ist bereits stark eingeschränkt, beziehungsweise sollte es sein. Die FDA sprach schon im Jahr 2016 deutliche Warnungen aus. Sie mahnt die Ärzte zu einem restriktiven Verordnungsverhalten bei Ciprofloxacin, Levofloxacin, Moxifloxacin und Ofloxacin: Bei banalen Infektionen wie einer Sinusitis, einer akuten Verschlimmerung einer chronischen Bronchitis und unkomplizierten Harnwegsinfektionen ist eine Therapie mit Fluorchinolonen nicht vertretbar.

Seit Februar 2018 lief ein Risikobewertungsverfahren der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA), das insbesondere die Persistenz bei Ciprofloxacin und anderen Fluorchinolonen prüfen sollte. Das Verfahren umfasste systemisch und inhalativ zu applizierende Fluorchinolone. In Deutschland sind derzeit Ciprofloxacin, Levofloxacin, Moxifloxacin, Norfloxacin und Ofloxacin für eine systemische Antibiose zugelassen. Nicht im Überprüfungsfokus waren lokal anzuwendende Fluorchinolonpräparate wie Ciprofloxacin in Ohrentropfen oder Augentropfen und -salben.

Auslöser für die Überprüfung dieser Antibiotikaklasse und letztlich der nun empfohlenen Anwendungsbeschränkungen waren die Berichte über schwere Nebenwirkungen, speziell Sehnenverletzungen. Deshalb sollen Fluorchinolon-Antibiotika bei Patienten mit einem erhöhten Risiko für Sehnenverletzungen, dazu gehören ältere Patienten, Patienten mit Nierenerkrankung und organtransplantierte Patienten, nur „mit besonderer Vorsicht“ angewendet werden, wie der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) betont. Aus demselben Grund sollen die Antibiotika auch nicht in Kombination mit Kortikosteroiden eingesetzt werden. Für einige Antibiotika dieser Klasse – Cinoxacin, Flumequin, Nalidixinsäure und Pipemidsäure – empfiehlt der Ausschuss die Aufhebung der Marktzulassung.

Der Ausschuss für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz (PRAC) bei der EMA hat empfohlen, den Gebrauch von Fluorchinolonen oder Chinolonen die oral eingenommen, injiziert oder inhaliert werden, einzuschränken. Der PRAC empfiehlt, dass die weiterhin zugelassenen Fluorchinolone in folgenden Fällen nicht angewendet werden sollten:

bei Infektionen, die auch ohne Behandlung abklingen oder die nicht schwer sind (z.B. Entzündungen des Halses).
zur Vorbeugung der Reisediarrhöe oder wiederkehrender Infektionen der unteren Harnwege (sofern sie nicht über die Blase hinausgehen).
zur Behandlung von Patienten, bei denen vormals schwere Nebenwirkungen im Zusammenhang mit Fluorchinolonen oder Chinolonen aufgetreten sind.
um leichte bis mittelschwere Infektionen (inklusive unkomplizierte Zystitis, akute Exazerbation der chronischen Bronchitis, und chronische obstruktive Lungenerkrankung (COPD), akute bakterielle Rhinosinusitis und akute Mittelohrentzündung) zu behandeln, es sei denn, andere Antibiotika, die üblicherweise zur Behandlung dieser Infektionen empfohlen werden, können nicht angewendet werden.
Gibt es Alternativen?
In vielen Fällen ist die Alternative zu Fluorchinolonen: Keine Antibiotikagabe! Auch unter der Kenntnis der Risiken werden sie nicht selten bei „banalen“ Infektionen oder gar bei viralen Infektionen verschrieben – entgegen den Empfehlungen der Leitlinien. Einer Untersuchung der Universität Bremen zufolge bekommen 50 Prozent aller Frauen, die wegen einer harmlosen Blasenentzündung zum Arzt gehen, Fluorchinolone verschrieben. Dabei lautet das klare Statement der Autoren der aktuellen S3-Leitlinie zu Harnwegsinfektionen: „Folgende Antibiotika sollen bei der Therapie der unkomplizierter Zystitis nicht als Mittel der ersten Wahl eingesetzt werden: Ciprofloxacin, Levofloxacin, Norfloxacin, Ofloxacin.“ Die Leitlinie empfielt bei einer unkomplizierten Zystitis bei Frauen in der Prämenopause stattdessen:

Fosfomycin 1x 3000 mg für 1 Tag als single-shot
Nitrofurantoin 4 x 50 mg für 7 Tage
Nitrofurantoin retard 2 x 100 mg für 5 Tage
Nitroxolin 3 x 250 mg für 5 Tage
Pivemecillinam 2-3 x 400 mg für 3 Tage
Auch bei Sinusitis keine Fluorchinolone
Etwa 80 Prozent der akuten Sinusitiden bessern sich innerhalb von zwei Wochen auch ohne Therapie. Die Experten der Leitlinie finden eine Antibiotikabehandlung bei Sinusitis nur bei einem überschaubaren Patientenklientel gerechtfertigt: „Wenn man die insgesamt sehr geringe Wahrscheinlichkeit vermiedener Komplikationen mit der hohen Wahrscheinlichkeit von Nebenwirkungen vergleicht, dann sollte eine unkomplizierte Sinusitis nicht mit Antibiotika behandelt werden.“ Liegt eine unkomplizierte Sinusitis vor, können Ärzte bei lediglich drei Patientengruppen eine Antibiose in Betracht ziehen:

Nachweis von Sekretspiegeln oder totaler Sinusverschattung im CT
Schmerzen der Stufe 4 und 5 bei einem Schmerzscore von 1 bis 5 plus erhöhte Entzündungsparameter CRP und/oder BSG.
Keimnachweis von Pneumokokken, Hämophilus influenzae beziehungsweise Moraxella catarrhalis im Nasenabstrich.
Diese Patienten profitieren von einer Antibiose; bei ihnen verkürzt sich die Krankheitsdauer um drei Tage. Allerdings: Auf die Rezidivquote oder Komplikationsrate wirkt sich eine antibiotische Therapie nicht günstig aus.

Als erste Wahl gilt:

Amoxicillin3 x 500 mg/d oder
Cefuroxim2 x 250 mg/d
Als zweite Wahl gilt:

Makrolide, zum Beispiel Azithromycin 500 mg/d für drei Tage oder
Amoxicillin + Clavulansäure oder
Doxycyclin oder
Co-Trimoxazol

Blue
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Re: Neuer Artikel von DocCheck : Fluorchinolone: Der ärztliche Leichtsinn

#9870

Beitragvon Blue » 10.02.2019, 21:29

Und noch immer gibt es viel zu viele Ärzte, die die Risiken nicht kennen und weiter fleißig verschreiben...


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