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Beitragvon Dr.Pieper » 19.10.2018, 14:53
liebes forum, endlich habe ich zeit mich mit den reaktionen meines beitrages auseinanderzusetzen.
als erstes möchte ich levoflox26 antworten, die ihre verbitterung geschildert hat und dafür ist eine fast philosophische betrachtungsweise angezeigt, die in diesem forum, wie meistens in der medizin, zu kurz kommt:
jedem von uns passieren täglich dinge, die wir nicht einordnen können, die wir nicht geplant haben, die uns sozusagen zustoßen, seien sie postiv oder negativ. dazu gehören unfälle, menschen, gefahrensituationen, sonnenuntergänge und ciprofloxacin. nichts von alledem kommt von ungefähr, verabschieden wir uns bitte von der annahme, das sei glück, pech oder ein dämlicher zufall. damit werden wir unserem leben nicht gerecht! die dinge sind für uns gemacht. solange wir ihnen mit widerstand begegnen, sie verdrängen, negieren, ignorieren oder damit hadern, nützen sie uns gar nichts, sie schaden uns nur, selbst die guten dinge.
levoflox, natürlich ist FQAD eine krankheit! nach allen WHO-kriterien oder anderen definitionen. und ciprofloxacin ist auch kein gift, es ist ein medikament. du kannst auch an einer erdnuss sterben. ich verstehe natürlich deine verbitterung, ich würde nur gerne hier im forum die meinung vertreten wissen, dass man aus dieser opferrolle herauskommt und sich selbstbestimmt weiterentwickelt, sogar verzeiht und womöglich am ende der entwicklung bzw. auf dem weiteren weg den „arschengeln“ danken kann, die man jetzt verflucht.
ich möchte deshalb - auch um mut zu machen - die letzte patienten-email von gestern einstellen. die FQAD-patientin hatte ich angeschrieben und gefragt, wie es iht denn geht, weil ich solange nichts von ihr gehört hatte:
„Hallo Herr Dr. Pieper,
vielen Dank für Ihre Nachfrage.
Mir geht es seit Anfang Juli wieder wesentlich besser. Die Schwäche in den Armen ist fast weg und ich kann auch seit September wieder einer Teilzeitarbeit nachgehen. Allerdings nicht mehr als Zahnarzthelferin, den Stress ertrage ich nicht mehr. Ich habe wieder Lebensqualität, da ich auch körperlich nicht mehr zu erschöpft bin, auch nach oder vor meiner Arbeit, noch kleinere Sachen zu erledigen. Das war ja vorher garnicht mehr möglich. Da war die Morgentoilette schon zuviel. Die Nahrungsergänzungsmittel nehme ich nach wie vor ein. Ich möchte schon irgendwann nochmal einen Termin bei Ihnen vereinbaren, daß man anhand der Laborwerte auch den Fortschritt sieht. Ich habe die Lactopro Kur, wie mit Ihnen besprochen durchgeführt und meine Ernährung etwas Kohlenhydratärmer umgestellt und in den letzten 2 Monaten auch nebenbei 3 Kg abgenommen. Ich bewege mich ja auch wieder viel mehr, weil ich es glücklicherweise wieder in Maßen kann. Ich achte sehr darauf daß ich mir nicht zuviel zumute und bin auch am darauffolgendem Tag wieder fit.
Ich bin sehr glücklich darüber daß Sie mir sehr geholfen haben. Wenn ich mich eingearbeitet habe und genauer planen kann, vereinbare ich nochmal einen Termin bei Ihnen. Wie lange kann ich die Nahrungsergänzungsmittel denn nehmen?
Vielen Dank und mit freundlichen Grüßen“
einen ähnlich günstigen verlauf hat ja bisher auch frau wagenzink beschrieben, vielen dank an sie, dass sie es auch mal hier eingestellt hat. daran sieht man, dass die erkrankung auch tatsächlich wieder weggehen kann!
zum 1:1 tutor: das sollte jemand sein, der einen neuling einfach durch die brandung begleitet und ihn mental unterstützt, so wie unsere kinder in der 5.klasse jeweils einen siebenklässler zugeteilt bekamen, der ihnen zeigte, wo die aula, das klo und die turnhalle ist. es ging mir nicht um individuelle gesundheitsberatung.
zum forum: bestimmt habe ich es nicht deutlich genug gesagt: ich finde, dass hier im forum enorm gründlich gearbeitet wird, sehr engagiert, mit viel kompetenz und auch mit mitgefühl. leute wie krabiwi, schorsch, maximus und viele andere verbreiten auf unaufgeregte art ihr expertise und erfahrung, das finde ich super!
apropos maximus: sorry, aber ich habe zufällig deinen beitrag zum thema clostridium difficile gelesen. der ratschlag krankenhauseinweisung und iv-antibiotika-keule mag in manchen, sehr sehr schweren fällen richtig sein, aber ihr habt doch alle am eigenen leib erfahren, was antibiotika ausrichten! ich habe bisher alle (!) antibiotika-assoziierten colitiden mit darmsanierung und probiotika gut behandeln können. braucht geduld, zugegeben, aber funktioniert häufiger als es nicht funktioniert.
wir dürfen ja nicht vergessen, das FQs nicht das einzige teufelszeug auf dem markt ist. ich zitiere mal aus meiner eigenen veröffentlichung:
„Dr. Barbara Starfield, 1932-2011, ehemals amerikanische Gesundheitsexpertin an der renommierten John Hopkins University hat die Tragödie des ärztlichen Handelns in Zahlen ausgedrückt: Nach Starfield („Is US Health Really the Best in the World?“ JAMA July 26. Vol. 284, no. 4. pp. 483-485, 2000) sterben allein in den USA jährlich über 200.000 Menschen an ärztlicher Behandlung, manche Schätzungen gehen gar von über 750.000 Opfern aus! (Death by Medicine, Gary Null, Praktikos Books, 2011)
Und bei Starfield sind Kunstfehler explizit ausgenommen („not associated with recognizable error“) genau wie der riesige Bereich der ambulanten Medizin!
Behandlungsbedingte Todesfälle liegen in den USA nach Herz-Kreislauferkrankungen und Krebs damit auf Platz drei. Wir reden gar nicht von den Millionen betroffenen „Überlebenden“ (treatment-caused-injuries) jährlich.
Die Zahlen dürften in Deutschland aufgrund der guten Vergleichbarkeit der Medizinsysteme auf einem ähnlichen Niveau liegen, soeben wurden erschreckende Zahlen durch den AOK Krankenhaus-Report 2014 bekannt.
(Ein weiteres interessantes Detail aus der Starfield-Studie ist die Tatsache, dass von 13 untersuchten Staaten im Ranking der medizinischen Versorgung auf der Basis von 16 Gesundheitsindikatoren die USA und Deutschland auf den beiden letzten Plätzen 12 und 13 landeten!)
Erstaunlich ist dabei, dass diese Erhebungen, die sich aus offiziellen Krankenhausstatistiken rekrutieren, von niemandem zur Kenntnis genommen wurden und werden (vergleiche: „The Silence“ by Michael L. Millenson, Health Aff March 2003).“
( aus: Pieper S. Eine Verteidigung der Homöopathie. AHZ 2016; 261 (3): 27–31 )
zum doktorbashing: ich habe überhaupt nichts dagegen, hier im forum auch mal die wut rauszulassen. es ging mir eher darum, dass der „dicke hals“ eher kontraproduktiv ist, wenn man seinem hausarzt gegenüber sitzt und von dem was will, und sei es nur ein kg-rezept oder verständnis.
zur website: hallo krabiwi, vielen dank, aber meine website ist leider seit der neuen datenschutzverordnung down, weil sich da sonst die anwälte draufgestürzt hätten. hatte noch keine zeit, dass auf den neuesten stand zu bringen.
krabiwi ist übrigens auf dem besten weg, vielleicht auch mal etwas übergeordnetes auf die beine zu stellen. und zwar hinsichtlich FQAD, aber meinethalben gerne auch weiter. wie schon gesagt, bei uns (in deutschland, in europa) ist eine patientenlobby praktisch nicht existent, die paar größeren selbsthilfegruppen sind sämtlich längst von pharmakonzernen unterwandert. eine patientenlobby bräuchte man aber, um zum beispiel die indikation für die FQs zu beschneiden, so, wie das in den USA auch nur auf druck einzelner patientengruppen passiert ist, weil die FDA schiß vor den folgen ihres eigenen nicht-handelns bekam. legal action als drohkulisse ist bei uns allerdings vollkommen unwirksam, hier geht es nur über politischen druck, sprich lobbyarbeit!
glühwürmchen: wir streben alle und immer nach vollkommenheit. und ich weiß, dass das diese aussage eigentlich im selbsthilfeforum FQ nichts zu suchen hat. auf der anderen seite kann man nicht häufig genug darauf hinweisen! und ich wollte das auch als ein höheres ziel formulieren, eben damit man den alltag aushält. und an deinem letzten abschnitt erkenne ich, dass wir uns da vollkommen einig sind, der hat mir ausgesprochen gut gefallen.
so, in konstanz verzieht sich gerade der hochnebel und die sonne kommt raus. ein wunderschöner herbsttag! ich geh jetzt raus. vielen dank an alle, herzlichst, drpieper